Alle Beiträge von Thomas Kilpper

atb #80 | Killing Me Softly / Passive Bewaffung

Claudia Reinhardt & Cornelia Herfurtner

Ausstellung: 5. September bis 4. Oktober 2020

Aufgrund der aktuellen Situation findet keine Eröffnung statt. Wir laden ein, die Ausstellung in Anwesenheit der Künstlerinnen zu besuchen:
4. September von 18 – 22 Uhr und 12., 19., 26. September und 3. Oktober, jeweils von 15 – 18 Uhr.

Sonntag 4. Oktober Finissage 15-20 Uhr, 3D-Filmvorführung um 18 Uhr von Flipping the Stationary Car, 2018 von Cornelia Herfurtner, David Iselin-Ricketts, John Allan MacLean (45min). Anmeldung erforderlich unter after-the-butcher bis spätestens Sonntag 4. Oktober 11 Uhr vormittags. Bitte Behelfsmaske mitbringen und Abstandsregeln beachten.

Passive Bewaffnung

Rein rechtlich begehen wir derzeit bei jeder organisierten Menschenansammlung eine gesetzliche Straftat. Dank Covid-19 ist ganz Deutschland passiv bewaffnet, trägt Masken und Plastikschutzschirme vor dem Gesicht, ja hat sogar die Pflicht sich zu vermummen. Was ist passiert?
Nach den 68er Protesten beginnen sich die Menschen in den 1970er Jahren der BRD auf Großdemonstrationen verstärkt zu vermummen, zum Schutze ihres eigenen Persönlichkeitsrechts, denn wer auf die Straße geht und erkannt wird, dem droht die Entlassung in Betrieben oder auch vom Schuldienst. Durch das 1977 eingeführte Antiterrorgesetz gilt: Wer vermummt auf eine Demo geht, rechnet mit Gewalt, provoziert sie. Die „passive Bewaffnung“ ist geboren, Vermummung verboten. Nach Brokdorf und den großen Anti-Atomkraftbewegungen verschärfen sich die Gesetze noch einmal. Passiv bewaffnet ist nun jede*r, die/der sich mit jeglicher Schutzbekleidung oder Objekten ausstattet, die vermuten lassen, dass mit Polizeigewalt gerechnet wird. Selbst wenn das Gegenüber spätestens seit Gründung der GSG 9 Einheit aussieht, als ziehe es bei jeder 1. Mai Demonstration – oder beim G20 Gipfel – in den Krieg gegen die eigenen Bürger*innen.
Und so gilt: Keine Fahrradhelme, keine Taucherbrille, keine verstärkten Handschuhe, bitte kein Zahnschutz und am besten auch sämtliche Schlüssel zu Hause lassen, solltet ihr vorhaben, auf eine Demo zu gehen!
Nun ist das mit dem aktiven Selbstschutz vor dem potentiellen Angriff gerade etwas heikel: Wer vermummt sich jetzt für wen oder gegen was und wer oder was ist denn nun eigentlich „der Feind“? Cornelia Herfurtners gemeißelte Reliefs sind Stilleben einer BRD-Geschichte um Aufstand und repressive Staatsgewalt, deren Fortsetzung mit Sicherheit folgt.

Killing Me Softly

Nirgendwo sein, nirgendwo bleiben. Tauchen, ruhen, sich ohne Aufwand von Kraft bewegen – und eines Tages sich besinnen, wieder auftauchen, durch eine Lichtung gehen […]. Mit dem Anfang beginnen.“ (I. Bachmann, Undine geht)

Der Suizid ist eine Form von Gewalt, aber auch von Freiheit. Zwischen 2000 und 2004 reinszenierte Claudia Reinhardt fotografisch zehn Selbsttötungen bekannter Künstler*innen – Persönlichkeiten, die sie selbst faszinierten und deren Werk und Leben sie in ihrer Arbeit beeinflussten. Als eine Art persönliches Tribut lässt Reinhardt dabei Fiktion und Realität ineinander verschmilzen, recherchierte für jedes Foto sowohl in der Literatur als auch in den Archiven, was genau jene Frauen* dazu getrieben hat, sich aus dem Leben zu verabschieden. Dabei sind die Motive und Methoden sehr unterschiedlich: Es gibt den geplanten und exakt durchgeführten Suizid, etwa bei Sylvia Plath oder Anne Sexton und es gibt die langsame Zerstörung des eigenen Körpers, wie etwa die Tabletten- und Alkoholsucht Ingeborg Bachmanns. Reinhardt wählt dabei eine durch und durch psychologische Annäherung an ihre Vorbilder, indem sie selbst in die Rolle der Sterbenden schlüpft: sie reenacted die zehn Tode, den Moment bis ins Detail ausgestattet und lässt sich dabei fotografieren. Stünde jenes Adjektiv an dieser Stelle nicht in genauer Opposition zum Dargestellten, ließe sich die Szenerie durch ihren filmstillhaften Charakter tatsächlich als „lebendig“ beschreiben. Was veranlasste diese Frauen*, sich dem Leben entgegenzusetzen, zu entziehen? Die möglichen Gründe scheinen dabei leider noch immer nicht aus dieser Welt geräumt: patriarchale, physische Gewalt, faschistische Systeme, fehlende Gleichberechtigung und Anerkennung ihrer Werke, um hier nur einige zu nennen. Ohne den Suizid verherrlichen zu wollen, halten Reinhardts Fotos daher auch einen Moment größter Selbstbestimmung fest.

Aber so kann ich nicht gehen. Drum laßt mich euch noch einmal Gutes nachsagen, damit nicht so geschieden wird. Damit nichts geschieden wird.“ (ebd.)

Nadja Abt, Berlin, 2020

Claudia Reinhardt

(* 1964 in Viernheim/Südhessen) hat an der Hochschule für bildende Künste, Hamburg studiert. Von 2000 – 2012 lehrte sie an der National Art Academie in Bergen, Norwegen als Professorin im Fachbereich Fotografie. Bekannt wurde Reinhardt u.a. durch ihr fotografisches Werk Killing Me Softly – Todesarten (Aviva Verlag, Berlin 2004), einer Fotoserie, die sich mit Künstlerinnen beschäftigt, die sich selbst töteten. Reinhardt inszeniert diese Suizide mit ihr als Model. In der Arbeit No Place Like Home (Verbrecher Verlag, 2005), geht es um die Bedeutung von Herkunft und Identität. Die Arbeit Tomb of Love (Verbrecher Verlag, 2016) setzt sich noch einmal mit dem Thema Suizid auseinander und inszeniert Paare, die sich gemeinsam das Leben nahmen. Um Trauer und Erinnerung handelt die Arbeit Witwen/Widows, eine dokumentarisch – konzeptionelle Fotoarbeit, die 2020 bei The Green Box, Berlin publiziert wird.
Ausstellungen: Haus am Kleistpark, Berlin (2018); Kunstgeschichtliches Museum, Osnabrück (2017); Galerie Malopolski Ogród Sztuki, Krakau (2016); Galerie im Körnerpark, Berlin (2015); Corean Art Museum, Seoul (2015); Galerie F15, Moss, Norwegen (2015); Contemporary Art Museum, Roskilde (2015); Fotogalleriet Format, Malmö (2014); Meta House, Phnom Penh (2011); Kunsthalle Memmingen (2010); IDFX, Breda Photo Festival, Breda (2007); Micro Museum, Zürich (2009); Brooklyn Museum, New York (2004) u.a.

Cornelia Herfurtner

(* 8. Mai 1987) ist Künstlerin und in der Interventionistischen Linken organisiert. Im Bündnis Rheinmetall entwaffnen arbeitet sie gegen Waffenproduktion und Waffenexporte und Deutschlands größten Waffenproduzenten Rheinmetall. Als Künstlerin arbeitet sie unter ihrem bürgerlichen Namen als auch mit der Künstler_innengruppe ‘Michelle Volta’ und dem Verlag und Buchladen b_books. Zu ihren letzten Projekten gehören eine Serie von Fotos unter dem Titel ‚freedom and control of others (including myself)‘ (veröffentlicht in starship #19) und das kollektiv unterrichtete Seminar ‘Selbstorganisation und Hochschule’ (gemeinsam mit Ernest Ah and Anastasio Mandel, Universität der Künste Berlin). Ihr Video-Essay ‚Frauen verlassen das Museum’ (in Zusammenarbeit mit David Polzin) ist noch bis Januar 2021 im Mitte Museum in Berlin-Wedding zu sehen.

Mit freundlicher Unterstützung:

atb #79 | KAUE KAUE

Julia Oschatz & Sonja Hornung

Ausstellung: 31. Juli – 30. August 2020

Aufgrund der aktuellen Situation findet keine Eröffnung statt. Wir laden ein, die Ausstellung in Anwesenheit der Künstlerinnen zu besuchen:
31. Juli von 18 – 22 Uhr und 2. August von 15 – 18 Uhr,
Anmeldung erforderlich unter after-the-butcher
Auch individuelle Besuchstermine sind unter dieser Email zu vereinbaren.

SIE WOLLTEN SICH BEWEGEN / SIE STELLTEN FEST, DASS SIE SICH NICHT BEWEGEN KONNTEN / ODER VIELMEHR, DASS EINE BEWEGUNG NUR IN / DIE VORBESTIMMTE RICHTUNG MÖGLICH WAR, DURCH RÄUME, DIE BEREITS SO GEFORMT WAREN, DASS SIE IHRE BEWEGUNG AUFNEHMEN KONNTEN / MIT DER ERFORDERLICHEN GESCHWINDIGKEIT, IN DER ERFORDERLICHEN WEISE / SO UND NICHT SO; / HIER UND NICHT DORT USW. / SO GAB ES IN DER TAT KEINE WIRKLICHE BEWEGUNG, NUR WIEDERHOLUNG, VIELLEICHT LEICHTE VARIATIONEN, INNERHALB DER GEGEBENEN STRUKTUR. / UND IN DIESEM SINNE GAB ES KEINE WIRKLICHE BEWEGUNG, NUR WIEDERHOLUNG, VIELLEICHT LEICHTE VARIATIONEN, IN DER VORGEGEBENEN STRUKTUR.

Julia Oschatz‘ Arbeit Unter Tagen ist eine für after the butcher entwickelte Videoinstallation, die sowohl die tägliche Beeinflussung des Raumes auf menschliche Bewegung und Handlung thematisiert, als auch den Versuch, daran etwas zu ändern.

Sonja Hornung produzierte Sperre III als Teil einer Serie, die von der Suche Varvara Stepanovas (1894-1958) nach einer „Uni-Form“ ausgeht, die die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung aufheben würde. Jede Version von Sperre besteht aus einem einzelnen Kleidungsstück, das aus einem spezifischen städtischen Kontext oder einer Krise heraus entstanden ist sowie aus Texten, die in Aquarellzeichnungen komprimiert sind. Sperre III reflektiert Finanzwirtschaft und ihre ‚kollateralen‘ Auswirkungen auf städtische Räume und spezifisch weibliche Körper.

Julia Oschatz, geb. Darmstadt 1970, lebt in Berlin und Sandau an der Elbe. Neben zahlreichen Ausstellungen ihrer Videos, Zeichnungen, Malereien und Installationen, zuletzt in der Artbox Dresden, im Kunstverein Hannover; im Kupferstichkabinett, Berlin macht sie auch Bühnenbilder, derzeit für Hamlet am Maxim Gorki Theater, Berlin.

Sonja Hornung, geb. Birrarunga/Melbourne 1987, lebt seit 2012 in Berlin. Ihre Installationen, Performance, Zeichnungen, und Kollaborationen – u.a. mit COPS (Corporation of People’s Situations) und Kollektiv x-embassy – wurden z.B. im Haus der Kulturen der Welt, bei District Berlin, und im Forum Stadtpark (Graz) gezeigt. Aktuell ist sie Artist-in-Residence des Q21/MQ Wien.

Mit freundlicher Unterstützung von:

atb #78 | exemplarische kämpfe

Martin Haufe
Minze Tummescheit und Arne Hector (cinéma copains)

Ausstellung: 29. Mai – 10. Juli 2020

Aufgrund der aktuellen Situation findet keine Eröffnung statt. Wir laden ein, die Ausstellung in Anwesenheit der Künstler*innen zu besuchen:
Sa 6. Juni / So 7. Juni / So 14. Juni / Fr 19. Juni / So 21. Juni, jeweils von 15 – 18 Uhr,
Anmeldung erforderlich unter ina@after-the-butcher.de Auch individuelle Besuchstermine sind unter dieser Email zu vereinbaren.

Seit 2014 arbeitet Martin Haufe intensiv zum Thema „Freundschaft“. Innerhalb von Freundschaften lernen wir „moralisch richtiges“ Handeln, gleichzeitig beeinflussen die kapitalistischen Lebensverhältnisse die Ausgestaltung unserer Beziehungen. In Martin Haufes andauernden Recherche spielen daher Fragen um das Verhältnis und die Potentiale von Kritik und Freundschaft eine zentrale Rolle. Aus seiner Auseinandersetzung sind u.a. diverse textile Arbeiten für die Ausstellung exemplarische Kämpfe entstanden.

Die 6-teilige Interviewkette „in arbeit“ (2008-2018) vonMinze Tummescheit und Arne Hector (cinéma copains) ist eine filmische Untersuchung zu Bedingungen, Möglichkeiten und Grenzen kollektiven Handelns. Dabei wird der kommunikative Prozess der Recherche zum Inhalt des Films. Eine Reihe von Kollektiven wird miteinander in Verbindung gesetzt, indem Mitglieder einer Gruppe zusammen  mit  cinéma copains reisten und das Gespräch mit dem jeweils nächsten Kollektiv gemeinsam führten. So ist eine Interviewkette entstanden, die ein Bild kooperativer Praxis in verschiedenen Ländern Europas zeichnet. In der Ausstellung exemplarische Kämpfe sind Ausschnitte der insgesamt 285 Minuten langen Serie zu sehen.

Martin Haufe
 (*1986 Großröhrsdorf) studierte Medienkunst an der HGB Leipzig, der Royal Danish Academy of Fine Arts und der MLU Halle (Saale) im Fachbereich Psychologie. Er erhielt ein Studienstipendium der Rosa-Luxemburg-Stiftung, aktuell ist er Meisterschüler bei Joachim Blank. Martin Haufe verbrachte mehrere Arbeits- & Rechercheaufenthalte in Vietnam und wurde 2019 für ein Aufenthaltsstipendium der KdFS ausgewählt. Neben der Praxis als Solo-Künstler engagiert er sich in verschiedenen Erinnerungskulturellen Projekten und ist als künstlerischer Bildner tätig.

cinéma copains
Seit 2000 arbeiten Arne Hector und Minze Tummescheit als cinéma copains in Ko- operation mit copines und copains aus aller Welt. Sie interessieren sich für ökonomische Themen, die sie immer auch als politische und gesellschaftliche Fragen verstehen. Ihre dokumentarischen Arbeiten, die Vorträge, Performances, Installationen und künstlerische Dokumentarfilme einschließen, basieren auf Langzeitprojekten. An der Schnittstelle von Dokumentarfilm und Kunst, mit einer sichtbaren politischen Haltung, suchen sie nach Form für Inhalt.

after the butcher – Ausstellungsraum für zeitgenössische Kunst und soziale Fragen
Spittastr. 25
10317 Berlin
www.after-the-butcher.de

Telefon +49 (0) 1783298106
ina@after-the-butcher.de

Mit freundlicher Unterstützung von: